Beten, aber nicht Gott anbetteln

 

Als die Mutter der Zebedäus-Söhne mit der Bitte zu Jesus kam: „Lass doch diese beiden Söhne in deinem Reiche einen zu deiner Rechten und den anderen zu deiner Linken sitzen“, da antwortete unser Erlöser: „Ihr wisst nicht, was ihr bittet.“ Viele heutige Christen beweisen in ihren Gebeten, dass sie im gleichen Irrtum befangen sind; auch sie „wissen nicht, was sie bitten“. Wenn sie beten, so bitten sie um Dinge dieser Welt, bald um dieses, bald um jenes, in Leiden und Krankheit um Erleichterung und Gesundheit; lauter irdische Güter suchen sie zu erlangen, aber geistliche Güter erflehen sie nicht. Das sind nicht Beter, sondern Bettler. Sie erfreuen sich nicht der Gemeinschaft mit Gott, sondern leben allzu sehr in der Gemeinschaft mit der Welt. Das Wesen des Gebets besteht nicht darin, dass wir etwas von Gott begehren, sondern dass wir unser Herz Gott öffnen, mit ihm reden und mit ihm in ständigem Umgang leben. Beten heißt nicht, Gott um verschiedene Lebensbedürfnisse bitten, sondern Gott selbst zu erlangen. Beten ist ein Verlangen, Gott selbst, den Urheber allen Lebens, zu haben. Ich kannte in Indien einen Gottesmann. Ein Bettler war gewohnt, an jedem Morgen zu kommen, um von ihm ein Stück Brot zu erbitten und sogleich zu gehen, sobald er es erhalten hatte. Eines Tages hatte der Mann des Gebets nichts, um dem Bettler zu geben. Er bat ihn, einen Augenblick zu bleiben und mit ihm zu plaudern, während dessen er nach dem Brot schickte. Nach einer Stunde erfasste der Bettler die Botschaft, die ihm der Mann verkündete, und er begann zu beten. Er war verwandelt; er erfuhr Gottes Gegenwart; er war erfüllt von Freude. „So oft“, rief er aus, „bin ich gekommen, euch um Brot zu bitten, ohne zu denken, dass ihr etwas ganz anderes hattet, um es mir zu geben.“ „Das ist eure, nicht meine Schuld. Ihr kamt nur um Brot und gingt, sobald ihr es erhalten hattet. Heute habt ihr Zeit gehabt, bei mir zu bleiben, und ich habe mit euch reden können.“

Oft machen wir es genauso mit unserem Erlöser. Viele wenden sich an den himmlischen Vater nur, um von ihm dieses oder jenes zu erbitten. Unser Heiland hat uns gelehrt zu sagen: „Dein Wille geschehe.“ Aber wir sagen im Gegenteil: „Mein Wille geschehe“, wenn auch nicht mit unseren Lippen, so doch in unseren Handlungen.